Der neue teure Trick der Gasanbieter

Viele Verbraucher bekommen in diesen Tagen einen Brief von ihrem Gasversorger mit einer Preiserhöhung Quelle: pa/dpa/Frank Rumpenhorst
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Als Sonja O. aus Mettmann den Brief von ihrem Gasversorger bekommt, weiß sie, dass sie etwas tun muss. Statt sechs Cent pro Kilowattstunde soll sie ab Ende September 26,6 Cent bezahlen. Die Gasrechnung würde sich vervierfachen.

Sonja O. kannte sich aus und informierte sich über den Preis, den sie in ihrem örtlichen Gasnetz für die sogenannte Grundversorgung zahlen müsste. Die Grundversorgung ist ein Tarif, den der Versorger mit den meisten Kunden in der Region jedem Verbraucher anbieten muss.

Früher waren diese Tarife häufig sehr teuer und entsprechend unattraktiv, doch die rasant steigenden Gaspreise haben vielerorts dazu geführt, dass die Grundversorgungs-Tarife derzeit am günstigsten sind. Auch bei Sonja O. wäre der Grundversorger deutlich billiger zu haben: 14 Cent pro Kilowattstunde kostet dort derzeit die Kilowattstunde – deutlich mehr als in ihrem alten Vertrag, aber eben auch nur gut die Hälfte der angebotenen neuen Konditionen.

Das Problem ist nur: Sonja O. bekommt den Grundversorger-Tarif nicht – zumindest nicht sofort. „Unser Grundversorger bietet uns derzeit nur die Möglichkeit, in die Ersatzversorgung zu wechseln“, schreibt sie in einer Mail an WELT.

So wie ihr geht es derzeit vielen, die versuchen aufgrund der hohen Preissteigerungen in die Grundversorgung zu wechseln: Die Versorger versuchen, sie erst einmal in die deutlich teurere Ersatzversorgung zu schieben.

Dort würde die Kilowattstunde mit 42 Cent noch einmal deutlich mehr kosten. „Wir können erst nach drei Monaten in den Tarif der Grundversorgung wechseln“, schreibt O. „Dies sei gesetzlich so vorgesehen, wurde uns gesagt.“

Verbraucherschützer widersprechen in diesem Punkt deutlich. „Nach unserer Auffassung kann jeder Kunde, der entweder aktiv seinen Vertrag wegen einer Preiserhöhung kündigt oder dessen Vertrag vom Versorger gekündigt wird, in die Grundversorgung und muss nicht in die Ersatzversorgung“, sagt der Energie-Experte Holger Schneidewindt von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Dass viele Versorger es in der Praxis anders handhaben, merken auch die Verbraucherzentralen an entsprechenden Beschwerden von Gaskunden.

„Die Grundversorgung war immer die Cashcow der Versorger, das hat sich jetzt geändert“, sagt Schneidewindt. „Viele Anbieter versuchen jetzt, die Ersatzversorgung zur neuen Cashcow zu machen.“

Denn für die Energieunternehmen ist es ein erhebliches Problem, wenn nun plötzlich extrem viele neue Kunden in die Grundversorgung kommen. Die Preise sind in diesen Tarifen vor allem deshalb noch niedriger als in vielen Spezialtarifen, weil die Versorger für diesen Kundenstamm in der Grundversorgung langfristig Gas eingekauft hatten – zu den damals noch günstigen Preisen.

Rechtliche Grauzone

Als nach dem Zusammenbruch von einigen Billiganbietern im Strom- und Gasmarkt plötzlich Tausende Kunden in den Grundversorgungstarifen landeten, führten einige Versorger deshalb unterschiedliche Preise für Neu- und Bestandskunden innerhalb der Grundversorgung ein. Doch damit bewegten sie sich in einer rechtlichen Grauzone.

Inzwischen hat der Gesetzgeber deshalb die Unterscheidung zwischen Grund- und Ersatzversorgung eingeführt. „Rechtlich ist es nicht mehr zulässig innerhalb der Grundversorgung unterschiedliche Tarife für Bestands- und Neukunden anzubieten“, sagt Verbraucherschützer Schneidewindt. „Stattdessen versuchen einige Anbieter nun, möglichst viele Kundengruppen statt in die Grundversorgung in die Ersatzversorgung zu schieben.“

Die Unterschiede sind teils erheblich: Vattenfall, in Berlin Strom-Grundversorger, bietet neben der Grundversorgung für derzeit noch knapp 29 Cent pro Kilowattstunde auch einen Ersatzversorgungstarif an, der mehr als das Doppelte kostet: 66,7 Cent. „Ersatzversorgung und Grundversorgung sind nicht identisch“, sagt ein Sprecher.

Die Ersatzversorgung greife als „Notversorgung“, wenn Gas oder Strom verbraucht werde, den man keinem konkreten „Lieferanten oder einem konkreten Liefervertrag“ zuordnen könne „beispielsweise, wenn der bisherige Energielieferant das Recht auf Netznutzung verliert“.

Es ist der klassische Pleitefall eines Billiganbieters. „Grund- und Ersatzversorgung lassen sich grundsätzlich wie folgt unterscheiden: Die Ersatzversorgung hat eine ,Auffang-Funktion’ – sie greift zum Beispiel immer dann, wenn ein vorheriger Lieferant die Belieferung einstellt“, heißt es bei Eon, das Unternehmen ist beispielsweise in Hamburg Gas-Grundversorger.

Keine Kündigungsfrist

„Sofern ein Strom- oder Gaslieferant Insolvenz anmelden muss und seine Kunden nicht mehr mit Energie beliefern kann, springt der Grundversorger automatisch ein“, teilt auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) mit. „Die betroffenen Kunden kommen, sofern sie nicht zu einem anderen Versorger wechseln, in diesem Fall aber erst einmal für drei Monate in die sogenannte Ersatzversorgung.“

Die Verbraucher könnten dann jederzeit zu einem anderen Anbieter wechseln, eine Kündigungsfrist gibt es nicht. „Tun sie dies nicht, kommen sie nach Ende der dreimonatigen Ersatzversorgung in die Grundversorgung“, so der BDEW.

Aber wie ist es bei Kunden, die von ihrem Sonderkündigungsrecht aufgrund einer Preiserhöhung Gebrauch machen? Die Verbraucherschützer sind überzeugt, dass ihnen der örtliche Anbieter auch die Grundversorgung anbieten muss. Auf jeden Fall ist es ratsam aktiv werden: Wer den bestehenden Vertrag nur kündigt und einfach weiter Gas und Strom nutzt in der Annahme, automatisch in der Grundversorgung zu landen, kann sich schnell in der Ersatzversorgung wiederfinden.

Man sollte deshalb unbedingt aktiv einen Grundversorgungstarif beim örtlichen Versorger abschließen. Allerdings kann es auch dann wie bei Sonja O. zu Problemen mit dem Anbieter kommen. In solchen Fällen bleibt dann gegebenenfalls nur der Weg zu den Verbraucherzentralen oder zum Anwalt.