Gaskrise in Deutschland: Neues Gesetz könnte Verbrauchern nun böse Überraschung bescheren

Im Notfallplan Gas könnte schon bald die Alarmstufe ausgerufen werden – mit weitreichenden Folgen für Verbraucher.

Berlin – Die Versorgungslage in Deutschland bleibt wegen des Ukraine-Kriegs angespannt: Wird Erdgas bald noch teurer – und ohne Verzögerung? Seit dem 21. Mai haben Gaslieferanten unter bestimmten Bedingungen zumindest eine gesetzliche Möglichkeit, von jetzt auf gleich alle ihre Verträge „anzupassen“, sprich: die Preise heraufzusetzen. Der neue Paragraf 24 des Energiesicherungsgesetzes, genannt „EnSiG“ macht es möglich. Aber nicht ohne Weiteres.

Energiesicherungsgesetz: Knackpunkt Paragraf 24

Im Kern geht es in dem entsprechenden Paragrafen darum, dass Energieversorger wegen hoher Großhandelspreise nicht in die Knie gehen und durch eine Insolvenz die Versorgung ihrer Kunden gefährden. Mitunter müssen die Unternehmen wie etwa Stadtwerke zu aktuellen Preisen Erdgas hinzukaufen, um alle Kunden bedienen zu können. Gleichzeitig kann es sein, dass die Einnahmen aus den bestehenden Verträgen diese Mehrkosten nicht decken. Der Gesetzgeber erlaubt ihnen daher in dem Gesetz unter bestimmten Voraussetzungen, für alle ihre Verträge neue Preise festzusetzen. Damit es im Notfall schnell geht, sollen die neuen Preise schon eine Woche nach Ankündigung gelten.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein?

Zwei Voraussetzungen müssen erfüllt sein: Zum einen müssen Alarmstufe oder Notfallstufe im Notfallplan Gas ausgerufen worden sein. Zum anderen muss die Bundesnetzagentur auf dieser Grundlage eine „erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland“ festgestellt haben. Diese Feststellung muss im Bundesanzeiger veröffentlicht werden. Erst dann dürfen die Unternehmen die Preise erhöhen. Das Gesetz benennt auch Regeln für das Zurück: „Sobald der Versorgungsengpass nicht mehr besteht, muss die Bundesnetzagentur diese Feststellung aufheben“, sagt das Bundeswirtschaftsministerium. Das „Preisanpassungsrecht“ entfalle dann.

Seit dem 23. Juni gilt die Alarmstufe

Am 23. Juni hat Bundeswirtschaftsminister Rober Habeck die so genannte Alarmstufe im Notfallplan Gas ausgerufen. Die rechtliche Grundlage findet sich hier. Zuvor hatte Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen die Energiewirtschaft auf den bevorstehenden Schritt vorbereitet.

Wie sehr dürften die Versorger die Preise anheben?

Das Gesetz lässt ihnen einigen Spielraum. Die Versorger dürfen die Preise auf ein „angemessenes Niveau“ anheben. Dieses Niveau sei nach oben nicht gedeckelt, sagt der Energieexperte der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), Thomas Engelke. „Die privaten Haushalte wären dann auch vor extrem hohen Gaspreisen nicht geschützt.“ Er betont, dass von der Regelung auch Kunden betroffen wären, die eine sogenannte Preisgarantie haben.

Auf welchen Preisanstieg müssen sich die Haushalte einstellen?

Das kann niemand genau sagen. Schon jetzt muss laut Engelke ein Haushalt mit einem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 20.000 Kilowattstunden Erdgas wegen der Preiserhöhungen der vergangenen Monate mit jährlichen Zusatzkosten in Höhe von 1000 bis 2000 Euro rechnen. „Wenn jetzt die Alarmstufe und die Feststellung der Reduzierung kämen, dann könnten noch weit höhere Zusatzkosten entstehen.“

Wie haben sich die Preise im Großhandel denn zuletzt entwickelt?

Sie sind gestiegen, und zwar deutlich. Der Grund: In der vergangenen Woche hat Russland die Liefermengen nach Deutschland stark gesenkt und dies mit angeblich technischen Problemen begründet. Erstmals seit Jahrzehnten werden seitdem Lieferverträge mit deutschen Großhändlern nicht mehr erfüllt. Auch am Mittwoch kletterten die Preise weiter. Am niederländischen Handelsplatz TTF kostete im Juli zu lieferndes Erdgas am Nachmittag pro Megawattstunde rund 129 Euro. Am Montag vor einer Woche, also vor der Drosselung, hatte der Preis noch bei 83,40 Euro gelegen. Auch das war schon hoch. Langfristverträge waren in der Vergangenheit oft mit 20 bis 30 Euro abgeschlossen worden.

Was halten die Verbraucherschützer von den neuen Regeln?

Sie fordern Nachbesserungen am Gesetz. So sollen die Preiserhöhungen erst vier Wochen nach der Ankündigung wirksam werden dürfen, und nicht schon nach nur eine Woche. So lange müssten die Kunden auch die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung haben, sagt Engelke. Das Gesetz sehe derzeit nur eine „unverzügliche“ Kündigung nach Erhalt der Mitteilung vor. Auch müssten die Preise gedeckelt sein. „Bleibt das Gesetz so, ist völlig klar, dass die privaten Haushalte entsprechende Entlastungen brauchen, insbesondere in der kommenden Heizperiode.“ Nötig sei dann ein weiteres Entlastungspaket. Auch dürfe es dann keine sogenannten Gassperren geben für Kunden, die ihre Gasrechnung nicht mehr bezahlen können. „Das wäre eine Sicherheitsmaßnahme, um vor allem Haushalte mit niedrigen Einkommen zu schützen.“

 (dpa/utz)