Der Sars-CoV-2-Erreger verändert sich ständig, aktuell steht vor allem seine hochansteckende Omikron-Variante im Blickpunkt. Doch es ist keinesfalls ausgemacht, dass das Virus nicht noch weitere Verwandlungen vollzieht. Je öfter es sich vervielfältigen kann, desto wahrscheinlicher sind Kopierfehler in seinem Erbgut – und wenn diese gegenüber früheren Varianten einen evolutionären Vorteil bieten, kann sich ein neuer Virustyp auf breiter Front durchsetzen.
Aktuell informieren französische Forscher über eine Variante namens B.1.640.2. In einem noch nicht von Fachkollegen begutachteten Manuskript beschreiben sie, dass diese im Vergleich zum Wildtyp des Sars-CoV-2-Erregers über 23 Mutationen auf dem sogenannten Spikeprotein verfügt, mit dessen Hilfe das Virus in Körperzellen eindringt. Zur Einordnung: Bei der Omikron-Variante lag dieser Wert bei mehr als 30. Unter den Mutationen sind auch solche, die mit einer besseren Ausbreitung des Virus und einer verminderten Schutzwirkung von Impfungen in Verbindung gebracht werden.
Zu den Autoren des Manuskripts gehört der Mediziner Didier Raoult, der für seine umstrittenen Thesen zur Pandemie bekannt ist, so hatte er den Einsatz des Malariamittels Hydroxychloroquin zur Behandlung propagiert, das sich aber als nicht wirksam herausgestellt hatte. Außerdem hatte ihm die niederländische Mikrobiologin Elisabeth Bik, die sich der Aufdeckung wissenschaftlichen Fehlverhaltens verschrieben hat, Manipulationen bei mehreren Publikationen vorgeworfen. Raoult war juristisch dagegen vorgegangen. In einem offenen Brief hatten sich anschließend zahlreiche Wissenschaftler und Forschungsorganisationen mit Bik solidarisiert.
Für die aktuelle Forschungsarbeit wurden Genomdaten von zwölf Patienten aus Südfrankreich ausgewertet, die sich mit der Variante angesteckt hatten. Die Infektionen wurden demnach zu einer Person zurückverfolgt, die aus dem zentralafrikanischen Kamerun nach Frankreich eingereist war. Die beobachteten Mutationen lassen es grundsätzlich möglich erscheinen, dass B.1.640.2 ansteckender ist als bisherige Varianten. Doch in der Praxis deutet aktuell wenig darauf hin.
Bereits vor Omikron bekannt
Der Virologe Tom Peacock vom Imperial College in London, der an dem Manuskript des französischen Teams nicht beteiligt war, weist bei Twitter darauf hin, dass die ersten bekannten Genomsequenzen von B.1.640.2 bereits am 4. November in die entsprechende Fachdatenbank hochgeladen worden seien – von Omikron seien entsprechende Proben dagegen erst drei Wochen später bekannt geworden.
Trotz der kürzeren Zeitspanne gebe es mittlerweile von Omikron mehr als 120.000 sequenzierte Patientenproben, von der von den Franzosen beschriebenen Variante nur etwa 20. Seit der Vorweihnachtszeit seien auch keine mehr dazugekommen. Der Erreger habe seine Chance gehabt, so Peackock, für Probleme zu sorgen – diese aber offenbar nicht nutzen können. Zuletzt hatte es allerdings einen Anstieg der Fälle in Südfrankreich gegeben. Ob sich dieser zumindest zum Teil auf die neue Variante zurückführen lässt, ist nicht bekannt. Klar ist, dass sich Omikron in Frankreich wie auch in allen anderen europäischen Staaten derzeit massiv ausbreitet.