HANNOVER / HAMBURG | Viele Reisende kennen das: Nördlich von Hannover beschleunigt der ICE erst kräftig, dann sinkt das Tempo spürbar – oder es gerät alles ins Stocken. Beim Streckenausbau müsse es vorangehen, sagt Niedersachsens Regierungschef. Die Bahn verweist auf die Prüfung mehrerer Optionen.
In der wieder aufgeflammten Diskussion über den Bahnausbau zwischen Hannover und Hamburg fordert Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil die Deutsche Bahn zu einer klaren Haltung und mehr Anstrengungen auf. „Meine Erwartung ist, dass sich die Bahn jetzt sehr schnell deutlich positioniert, sich zur Durchführung von Alpha E bekennt und das in der praktischen Arbeit auch vorantreibt“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Das Projekt Alpha E umschreibt eine Erneuerung bestehender Strecken in Richtung Norden. Eine Alternative, die Weil skeptisch sieht, wäre der Bau komplett neuer Trassen. Seit Jahren gibt es Debatten darüber.
Der SPD-Politiker betonte, es müssten endlich mehr Kapazitäten für den Güterverkehr geschaffen werden, nicht zuletzt wegen der Anbindung der norddeutschen Häfen. Damit zusammen hänge das Thema, dass sich viele Kunden auch im Personenverkehr mehr Tempo vor allem auf den wichtigen Fernverbindungen nach Hamburg und Bremen wünschten.
Dabei müsse man natürlich die Belange der Anlieger beachten. „Entlang der Strecke haben sich viele Bürgerinitiativen gebildet, auch die Kommunen und Naturschutzverbände waren beteiligt“, so Weil. Lange habe vieles auf eine Umsetzung von Alpha E hingedeutet. „Das war ein extrem schwieriger Kompromiss.“ Dann sei es seitens der Bahn aber ruhig geworden. „Man hat in den letzten Monaten gespürt, dass die Unruhe in den betroffenen Regionen deshalb immer größer wird.“
Er sei für einen Ausbau der Bestandsstrecken, bekräftigte Weil. Wegen des aus seiner Sicht zögerlichen Verhaltens der Deutschen Bahn mache sich bei ihm inzwischen jedoch „ausgeprägtes Unverständnis“ breit. Er befürchte, dass das Anpacken des Ausbaus sich – wie bei früheren, teils Jahrzehnte dauernden Überlegungen – weiter in die Länge zieht. „Dabei könnte man mit Alpha E doch endlich einmal vorankommen und dafür sorgen, dass zügig mehr Güterverkehr abgewickelt wird.“
Die Bahn stellte klar, dass sie derzeit nicht offen Position für die eine oder andere Variante beziehen könne. Man sei vom Gesetzgeber angehalten, neutral sowie ergebnisoffen zu planen und die Ergebnisse der Prüfungen zunächst dem Eisenbahn-Bundesamt vorzulegen, hieß es aus dem Konzern. Von dort gehe ein gesonderter Bericht dann an das politisch zuständige Bundesverkehrsministerium und ans Parlament. Außer der Varianten Neubau oder Bestandsausbau werde zudem eine Mischlösung diskutiert: der Neubau nur einzelner, kurzer Abschnitte.
Die Interessenlage ist, wie bei anderen Infrastruktur-Großprojekten, komplex. Viele Anwohner und Kommunalpolitiker an den bestehenden Streckenabschnitten wollen mehr Verkehr und Lärm unbedingt vermeiden und sprachen sich daher für eine ganz neue Trasse aus, etwa entlang der Autobahn 7. Das wiederum stößt bei potenziell dort Betroffenen auf Widerstand. Um den Konflikt um die zwischenzeitlich verworfene „Y-Trasse“ zwischen Hannover, Hamburg und Bremen zu entschärfen, hatte das Land Niedersachsen ein Dialogforum mit Gemeinden, Bürgerinitiativen und der Bahn zu dem Ausbauprojekt eingerichtet. Dieses kam schon vor einigen Jahren zu einer Empfehlung für Alpha E.
Der Alpha-E-Entwurf wurde allerdings nur im Groben in die Bauplanung des Bundes übertragen, und nur dieser Bundesverkehrswegeplan ist nun Grundlage der Planungen der Deutschen Bahn. Mit aufgenommen wurde die Möglichkeit, neue Umfahrungstrassen bei Lüneburg zu prüfen sowie die Vorgabe, dass der ICE-Verkehr beschleunigt werden soll. Konkret will man so elf Minuten Fahrzeit zwischen Hannover und Hamburg einsparen.
Dass ein früherer Vorschlag aus dem Dialogforum zu Alpha E nicht durchkam, begründet die Bahn mit einer damals nicht vollständigen Fachprüfung. Danach habe sich die Idee zu der Mischlösung ergeben. Im Herbst dieses Jahres werde man die Resultate des Vergleichs der drei Alternativen möglicherweise nebeneinanderlegen können – dann seien Bundesamt und Bundesministerium an der Reihe, alles zu sichten und final zu prüfen. Anfang Oktober sind Landtagswahlen in Niedersachsen.
Seit dem vorigen Sommer will der Bund auch einen Ausbau der wichtigen Verkehrsachse für Tempo 300 prüfen. Bahn-Vorstand Ronald Pofalla nannte die Verbindung als eine der Strecken, auf der man das Tempo erhöhen wolle. Das könnte zu einem längeren Neubauabschnitt führen.
EVN / dpa