Es sind gut sechs Jahre vergangen, seit eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest-Dimap die politische Öffentlichkeit im Zwei-Städte-Staat Bremen aufrüttelte. Denn jeder zweite Bremerhavener hatte seinem Bundesland zu dessen 70. Geburtstag sozusagen die Torte ins Gesicht geschmissen. Das Land Bremen sollte sich abschaffen und mit Niedersachsen zusammengehen.
Wirtschaftliche Vorteile lieferte eine Fusion der Länder damals wie heute für keinen der Beteiligten. Im Gegenteil: Für Bremerhaven sei die finanzielle Unterstützung vom Land Bremen erheblich höher, als sie von Niedersachsen zu erwarten wäre, sagt Oberbürgermeister Melf Grantz (SPD). Als niedersächsische Stadt wäre Bremerhaven nur eine von 943 Gemeinden des Flächenlandes. Bremerhaven würde auch einen Großteil seiner Eigenständigkeit verlieren, „es gäbe keine kommunale Polizei“, sagt der OB, „auch die Lehrer wären nicht kommunal angestellt“. „Die Einflussmöglichkeiten auf Landesentscheidungen mit kommunalen Auswirkungen wäre erheblich geringer“, urteilt Grantz. Und sollte die Stadt Bremerhaven ihre Zugehörigkeit zu Bremen aufkündigen – das ginge theoretisch mit Volksentscheiden, Zwei-Drittel-Mehrheiten und der Hilfe des Bundestages – dann blieben die Häfen stadtbremisch, weil sie ja der Stadt Bremen gehören.
15 Sitze im Parlament – wer hat die schon?
Wen man auch in der Bremer Landesregierung fragt – alle stoßen ins gleiche Horn. „Die Seestadt Bremerhaven gehört seit fast zwei Jahrhunderten untrennbar zum Land Bremen“, bekennt Regierungschef Andreas Bovenschulte (SPD). Es gebe keine plausiblen Gründe, das zu ändern, sagt Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke). Weder in Bremen noch in Hannover gebe es entsprechende Bestrebungen. „Der Zwei-Städte-Staat Bremen ist ein starker Verbund“, betont Finanzsenator Dietmar Strehl (Grüne), Bremerhaven habe mit 15 Sitzen im Landesparlament so viel politischen Einfluss wie wohl keine zweite Kommune in Deutschland.
Immerhin sieht Grantz, dass Geestland, Loxstedt und Schiffdorf eingemeindet werden könnten in ein niedersächsisches Bremerhaven, „dann hätten wir auch keine Einpendlerquote von über 50 Prozent mehr. Dann lägen wir bei einer Einwohnerzahl von etwa 270.000 Menschen mit einem hohen Wachstumspotenzial“. Die Stadt stände bei vielen Parametern statistisch besser da, etwa bei der Kaufkraft oder den sozialen Faktoren. „Wir wären keinesfalls mehr Schlusslicht bei der Betrachtung der überschuldeten Bürgerinnen und Bürger, die Außendarstellung könnte besser sein“, gibt Grantz zu.
Dass die Bremerhavener sich lossagten vom Land Bremen, das hatte seinerzeit aber ganz andere Gründe. Dr. Guido Nischwitz vom Institut Arbeit und Wirtschaft (iaw) an der Bremer Universität unterschreibt sie noch heute. Die Infratest-Umfrage stellte der Politik quer durch alle Lager ein schlechtes Zeugnis aus. Das war ihre eigentliche Botschaft. Jeder zweite Bremerhavener hatte den Glauben an Senat und Magistrat verloren.
Wissenschaftler hören viel Frust
Eine ähnliche Erfahrung hat Nischwitz gemacht, als er auf die Suche ging nach Perspektiven für die Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Stadtentwicklung Bremerhavens. „Uns schlug da viel Frust entgegen“, sagt der Wissenschaftler. Junge Familien, Beschäftigte in höheren Positionen, deren Herz durchaus für die Stadt schlage, verließen sie. Lebensqualität und die Schullandschaft seien in den Interviews immer wieder als Kritikpunkte genannt worden, Verkehr und Radwege sowieso. Und wer sich schon mal „engagiert“ habe für eine lebenswertere Stadt, habe häufig wieder aufgegeben. Die Antwort auf die Frage nach dem Warum fiel meist gleich aus: „Mit dieser Kommunalpolitik bekommen wir das nicht hin.“ Hinterzimmerpolitik, fehlender Mut für einen politischen Perspektivwechsel und Macht abzugeben – solche Begriffe fallen.
Private Initiative erfahre kommunalpolitisch kaum Wertschätzung oder werde gar nicht erst wahrgenommen, sagt Nischwitz. Er vermisse den Mut und den Willen für einen kreativen, politischen Perspektivwechsel und für die Wahrnehmung eines aktiven politischen Gestaltungsanspruchs, und zwar über Stadt- und Landesgrenzen hinaus.
Einem Nordstaat erteilt auch Nischwitz eine Absage, der sei nie ein Bremer Thema gewesen, weil er für beide Städte nur Nachteile bedeutete. Und als niedersächsische Stadt stände Bremerhaven in enormer Konkurrenz. Trotzdem sei die Kommune mehr denn je auf die Zusammenarbeit mit ihrem niedersächsischen Umland angewiesen auf dem Weg zu einer attraktiven, lebenswerten Stadt. „Und zwar auf Augenhöhe und nicht von oben herab“, so Nischwitz. Tatsächlich müsse für eine realistische Betrachtung der Stadt und ihrer Lebensverhältnisse die gesamte Stadtregion betrachtet werden, urteilt auch Grantz. „Aber es bewegt sich nicht viel“, lautet die Beobachtung der Wissenschaftler.
Notwendigkeit des Strukturwandels
Mehr als zwei Jahre beschäftigte sich das Institut Arbeit und Wirtschaft mit den Notwendigkeiten eines wirtschaftlichen und ökologischen Strukturwandels in Bremerhaven. Die Stadt, so Nischwitz, sei im Wettbewerb um Unternehmen und Arbeitsplätze, um Einwohner und Fachkräfte gefordert, sich zukunftsfähig und attraktiv als Green City aufzustellen. Das sei die Ausgangslage und dafür müsse einiges getan werden. Der Unterweserraum müsse sich stärker als Region definieren mit Bremerhaven als Oberzentrum. Wirtschaftsentwicklung, Gesundheitsvorsorge, Verkehrsthemen, nennt Nischwitz nur einige Beispiele, die grenzübergreifende Lösungen erforderten. Sie müssten mit dem Umland zusammen gefunden werden.
Touristisch ist Bremerhaven fest verwurzelt mit den Nachbarn. Das niedersächsische Tourismus-Marketing gab jüngst eine Broschüre mit den schönsten 21 niedersächsischen Städten heraus – Bremerhaven inklusive.
ZITATE
„Das Bundesland Bremen würde es nicht geben ohne Bremerhaven als Landesteil. Das würde dazu führen, dass die gesamte Unterweserregion nicht den bedeutenden Status hätte, den sie jetzt dank vieler Kontakte und Beziehung bis zur Bundesebene hat.“
Melf Grantz, Oberbürgermeister
„Die Argumente für einen Nordstaat haben mich noch nie überzeugt und viele andere offensichtlich auch nicht. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass Hannover, Hamburg oder Kiel mit einer Landeshauptstadt Bremen glücklich wären.“
Andreas Bovenschulte, Präsident des Senats
„Das Land Bremen sorgt für seine beiden Städte. Es hat die Schulden beider Kommunen komplett übernommen.“
Dietmar Strehl, Finanzsenator
„Kein einziges der spezifischen strukturellen Bremerhavener Probleme, wie zum Beispiel die hohe Arbeitslosigkeit, wäre durch eine Länderneuordnung zu lösen.“
Kristina Vogt, Wirtschaftssenatorin
STANDPUNKT
Der Stadt fehlt es zunehmend an Wohlstand, an Lebensgefühl, an Bürgertum. Das zeigt sich von der Innenstadt bis zu den Quartieren. Es gab den Aufbruch mit den Havenwelten, den Glanz der Stadt der Wissenschaft – aber vom vor 20 Jahren gepriesenen Strukturwandel der ach so gebeutelten Stadt an der Wesermündung ist bei ihren Einwohnern nicht viel hängen geblieben. Und die Erwartungen, die auf dem künftigen Werftquartier lasten, könnten es auch ersticken. Zumal die Stadt nicht einmal in der Lage ist, ein neues Baugebiet an den Markt zu bringen. Wer Bremerhaven als wachsende Stadt beschreibt, sagt kaum, wieso – wegen Zuzügen aus Osteuropa, wegen Flüchtlingsströmen aus Syrien und der Ukraine. Wer in Wissenschaft und Forschung in dieser Stadt arbeitet, wohnt meist vor ihren Toren. In Niedersachsen. Wie die meisten Hafenarbeiter eben auch. Bremerhaven muss stärker an seinen Vorzügen arbeiten. Und dazu bedarf es einer Politik, die mehr in der Sache argumentiert, als an der eigenen Macht zu kleben.